Fussball vs. Politik?!

von Sebastian

«Kommst du morgen auch ans Konzert dieser mega bekannten Crust-Punk-Band?» – 
«Ich bin morgen ein paar Stunden unterwegs, ich geh zum Fussball, das reicht mir wohl 
zeitlich nicht.» – «Du gehst ja nur noch Fussball schauen! Früher hast du noch 
politische Dinge gemacht. Wann warst du denn eigentlich das letzte Mal auf einer Demo?!» – «Letze Woche. Aber dich habe ich da nicht gesehen.»

Freunde und Bekannte suchen aktiv die Diskussion mit mir. Sie machen sich Sorgen, ich hätte mich verändert, im Kopf hätte ich nur noch diesen Verein. Und Fussball sei ja wohl so ziemlich das Gegenteil von Politik: Saufen (und Kiffen), Rumbrüllen, Pöbeln, Beleidigen oder Streit mit jemandem suchen. Und überhaupt, 22 Typen (!) die einem Ball nachrennen. «Sowas von stumpf!» Und sie haben recht, wenn auch nur mit den Gedanken in meinem Kopf: Fast täglich geht bei mir um Fussball oder zumindest ums Drumherum. Zu welchen Melodien dichten wir neue Lieder? Was können wir dem Gastro-Verantwortlichen als währschafte vegane Ergänzung zu Pommes vorschlagen? Schiesst der neue Stürmer die wichtigen Tore für den Ligaerhalt? Welche Fahne male ich als nächstes und wo besorge ich mir möglichst günstig Farbe für das Spruchband?

Es stimmt, in gewisser Weise habe ich Fronttranspi gegen Doppelhalter eingetauscht. Aber nicht die Strasse gegen das Stadion, ich habe nur die Kurve als zusätzlichen Freiraum entdeckt um mich auszudrücken. Zugegeben, Sicherheitskräfte und Absperrungen tragen nicht wirklich zu einem Freiheitsgefühl bei. Aber wie wir alle wissen, lässt sich auch innerhalb gesteckter Grenzen (und wie weit darüber hinaus?) eine Menge Spass haben.

Fussball, die wohl beliebteste (Team-)Sportart der Welt hat es also auch mir angetan. Und das, obwohl ich bei der Erwähnung des Wortes «Fussball-Fans» lange automatisch den martialischen Auftritt einer Männergruppe vor meinem inneren Auge hatte. Was ja auch nicht von ungefähr kommt. Wirfst du einen Blick in die Kurven der Stadien sind es in der Regel Männer die auffallen, sexistische Banner und Choreografien präsentieren oder sich eine Boxerei mit den gegnerischen Fans liefern (wollen).

Ab den frühen 80ern sind Affenlaute und andere rassistische Parolen bei manchen Fussballspielen zur Normalität geworden und Neonazis rekrutierten fleissig neue Kameraden im Stadion. Aber auch nicht überall. In dieser Zeit begannen einige Hausbesetzer*innen an der Hamburger Hafenstrasse den lokalen Fussballclub, einen Stadtteilverein zu unterstützen. Und das sehr erfolgreich, wenn auch nicht unbedingt aus sportlicher Sicht: Der FC St. Pauli wurde durch diese Fans zu einem weltweit bekannten antirassistischen Fussball-Verein und hat deswegen Fans die über den ganzen Globus verteilt sind. Diese Ausstrahlung hat wohl viele Menschen geprägt und so auch die Entwicklungen im Hamburger Kiez positiv beeinflusst.

Mittlerweile gibts an den verschiedensten Orten Fans, die sich immer wieder aktiv gegen Diskriminierung positionieren, auf weitere Missstände aufmerksam machen und für eine andere Welt einstehen. Manche mit der Unterstützung ihres Lieblingsvereins und andere wiederum mit einer Menge Steine im Weg. Und genau weil ich von solchen Fans weiss und teilweise einen guten Kontakt zu ihnen habe macht mir das Mut, weiterzumachen wie bisher: Mit anderen zusammen für das gute Leben kämpfen – und zwar auch im Stadion. Das mache ich gerne auch mit dir. Wichtig sind nicht deine Vereins-Farben, wichtig ist was du machst.

Erschien im Teilzeitzine #1, Januar 2017