Interview mit Koebi – Einem FCW-Urgestein

von Sebastian

Beim ersten Besuch im Stadion Niedermatten kommt jede*r mit Köbi in Kontakt. Grund genug, einmal nachzufragen, wer Jakob Steinmann eigentlich ist, was er beim FC Wohlen macht und was er nicht leiden kann. Eines vorweg, das Interview musste stark gekürzt werden, denn Köbi hat sehr viel zu erzählen – am besten ist, du plauderst selber mal mit ihm.

Hallo Köbi… Im Umfeld des FC Wohlen bist du zwar schon eine Legende, magst du dich trotzdem kurz vorstellen?
Ich heisse Jakob Steinmann, aber alle nennen mich Köbi. Bekannt bin ich auch unter dem Namen Sportplatz-Kobi, dann wissen alle gleich wer gemeint ist. Ich bin seit 57 Jahren beim FCW und war bis zur Rückrunde mindestens 25 Jahre lang mit der 1. Mannschaft bei jeder Auswärtsfahrt mit dabei im Car. Jetzt bin ich aber leider nicht mehr erwünscht. Früher kümmerte ich mich um die Getränke und die Zwischenverpflegung, aber anscheinend wolle mich der Staff nicht mehr dabei haben. Vermutlich haben sie aber einfach Angst, dass ich mich mit meinen 84 Jahren verletzen könnte und der Club dann haften müsste. Aber das ist jetzt halt so. Bekannt bin ich aber vor allem, weil ich bei jedem Heimspiel im Kassenhaus 1 die Match-Tickets verkaufe und im Vorfeld jeweils 35 Match-Plakate aufhänge. Dafür fahre ich mit meinem Töffli, einem Pony, jeweils 25 km, nach Villmergen, Anglikon, Boswil und einfach in der Region. Die Kick-Off habe ich früher auch verteilt. Das mache ich aber auch nicht mehr, seit das plötzlich ohne mich zu informieren jemand anders übernommen hat. Nur noch in ein paar ausgewählten Restaurants in der Gegend lege ich die Kick-Off noch auf. Trotzdem bin ich jeden Tag auf dem Fussballplatz um nach dem Rechten zu sehen. Jetzt zum Beispiel liegen die Fahnen wegen dem starken Wind halb am Boden, aber das interessiert niemanden. Bis vor einem Jahr habe ich auch das Stadion geputzt, da hast du keine 10 Zigarettenstummel mehr gefunden als ich fertig war. Ich weiss noch beim ersten Besuch des FC Aaraus, da las ich anschliessend 6 Stunden lang Zigarettenstummel auf. Heute räumt niemand mehr wirklich auf, das ist sehr schade.

Wie bist du denn eigentlich zum FC Wohlen gekommen?
Das war 1960. Damals waren es fünf Mannschaften: Wohlen, Gerlafingen, Mendrisio, Zug und Uster. In Zug waren wir nach der ersten Halbzeit 5:1 im Rückstand, aber als der Trainer Willy Bächer einwechselte konnten wir ein 5:5 erkämpfen. Das führte zu einem Entscheidungsspiel in Dietikon. Wir waren 4:1 in Führung, am Schluss stand es jedoch 4:4. Dank des besseren Torverhältnisses sind wir dann schlussendlich aufgestiegen. Jedenfalls, der Willy Bächer war ein Schulkollege von mir. Ich hatte die Kinderlähmung, konnte also nicht Fussball spielen. Aber Willy war ein sympathischer Mensch und hat mich mitgeschleppt. Schnell wurde ich derjenige, der die Tickets auf der Tribüne kontrollierte. Durch den Aufstieg wurden auch die Eintrittspreise erhöht von 1.80 auf 2 Franken. Severin Borner, damals Kassier vom FC Wohlen, hat mich dann angesprochen und gebeten, die Tickets zu verkaufen. Also bin drei Jahre lang jeden Sonntag zwei Stunden vor dem Match zu Severin um die Kasse und die Tickets zu holen. Nach Match-Ende brachte ich ihm das eingenommene Geld und die übrig geblieben Tickets vorbei bis Frau Borner auf den Tisch gehauen hat und meinte «Lass den Köbi doch die Kasse machen!». Seit dann, 1964, bin ich verantwortlich für die Kasse.

Wie sieht denn ein typischer Arbeitstag aus?
Mindestens zwei Stunden vor Spielbeginn treffe ich beim Stadion ein, hole Kasse und zähle dann erst einmal die Tickets. Oft sind sie fehlerhaft abgezählt und dann stimmt meine Kasse nicht. Früher habe ich noch die Vorbestellungen gemacht, aber das ist mit mittlerweile zu viel. Viel zu häufig werden übrigens diese vorbestellten Tickets gar nicht abgeholt und somit auch nicht bezahlt. Bei anderen Vereinen werden Billete bei der Reservation gleich bezahlt und dann sind die Käufer selber Schuld, wenn sie nicht auftauchen. Bei uns werden dann einfach weniger Tickets verkauft, eigentlich ziemlich blöd. Etwa zehn Minuten nach der ersten Halbzeit schliesse ich den Rolladen und das Geld wird abgeholt. Anschliessend setze ich mich manchmal auf die Haupttribüne bis meine Tochter mich wieder hinunterschickt, weil es die meisten Tore gibt, wenn ich nicht zuschaue. Aber ich habe sowieso schon so viel Fussball geschaut in meinem Leben. Ich gehe dann jeweils runter in die Beiz und trinke mein Bier. Eine Flasche und ein Brötchen bekomme ich jeweils kostenlos. Überhaupt bin ich dem FC Wohlen sehr dankbar. Denn ich bin mit meinen 84 Jahren noch so fit, weil ich seit über 40 Jahren täglich für den FC Wohlen draussen unterwegs bin.

Wie hast du die Entwicklung der Fanszene mitbekommen?
Die Fans sind toll, die machen immer Lärm, egal ob Auswärts oder Zuhause. Und schwingen ihre Fahnen die mittlerweile schon grösser als ein Leintuch sind. Ich weiss aber noch vor ein paar Jahren bei einem Freundschaftsspiel, da wurden Zeitungen und Styropor verrissen, die Schnippsel lagen auch im ganzen Strafraum verteilt. Nach dem Spiel bin ich dann zu den Jungen hingegangen und meinte, sie sollen das erst aufräumen, vorher dürfen sie nicht gehen. Es wurde zwar nicht sauber geputzt aber einen Grossteil des Abfalls haben sie wieder zusammengekehrt.

Ciriaco Sforza kommt mit seiner Familie vorbei, grüsst freundlich und fragt nach dem Befinden.

Ach der Ciri, das ist ganz ein toller Cheib. Der kostete eine grosse Stange Geld, als er bei uns Trainer war, aber dafür hats auch Punkte gebracht. Jeden Tag hat er gemeinsam mit der Mannschaft zu Mittag gegessen. Aber richtig gutes Essen, was einiges gekostet hat. Aber er ist ein lieber Typ, das steht ausser Zweifel.

Wer gefällt dir jetzt besonders gut? In einem alten Kick Off schwärmst du von Goalie Flamur Tahiraj…
Ja der Flamur ist ganz ein bäumiger Cheib. Jedes Mal im Car fragte er mich, ob ich noch etwas brauche, ein Mineral oder so und hat etwas mit mir geplaudert. Es schmerzte mich im Herzen als Rueda Kiassumbua zur Nummer 1 machte. Flamur ist zwar ein Kopf zu klein, aber was er macht ist ist schon rechtens. Er ist auch ein Kamerad seinen Mitspielern gegenüber und als ich heute Vormittag kurz beim Training vorbeischaute war er der erste der mich grüsste. Der ehemalige Goalietrainer Boris (Ivkovic) ist auch ein guter Typ. Den kenne ich auch schon lange. Er war Goalie bei Herisau als wir ein Aufstiegsspiel hatten. Ganz ein toller. Schade ist er jetzt weg.

Was passt dir nicht so beim FC? Wo siehst du Handlungsbedarf?
Ordnung ist mir wichtig. Gerade an Matchtagen ist mir eine zu grosse Unordnung. Die Abfalleimer sind manchmal schon vor der Stadionöffnung halb voll und dementsprechend liegt dann auch viel Müll auf dem Boden. Bei anderen Vereinen gehen die Junioren nach dem Spiel durchs Stadion und räumen auf. Oder kümmern sich in der Halbzeitpause um den Rasen. Es gab einmal einen Antrag, dass die Junioren diese Aufgaben übernehmen würden, dafür aber gerne eine Entschädigung von 100.– für die Mannschaftskasse hätten. Das wurde abgelehnt! 100 Franken, das sind zwei Sitzplätze und das Geld würde ja im Verein bleiben. Ich verstehe das nicht. Wir können froh sein hat es viele Portugiesen und Italiener im Vereinsumfeld die immer mithelfen. Und das gratis, wohlgemerkt.

Interessieren dich auch noch andere Vereine?
Nein. Nur der FC Wohlen. Von mir aus könnte die Nationalmannschaft in Muri spielen, ich würde nicht zum Spiel gehen. Auch wenn einmal Liverpool in Aarau spielen möchte, das ist mir egal. Aarau mag ich sowieso nicht. Die haben mich einmal dumm angemacht, weil ein Tribünenplatz bei uns 40.– kostet (im Brügglifeld 47.–). Dabei muss man in Aarau noch ein zweites paar Hosen mitnehmen, weil die unbequemen Holzbänke ständig voll Vogelscheisse sind. Jetzt brauchen sie eine neue Baubewilligung für das Stadion wegen den Hochhäusern, die noch gebaut werden sollten. Der FC Aarau wird noch in zehn Jahren im Brügglifeld spielen – ohne dass sie etwas dafür machen müssen. Der FC Wohlen hingegen ist seit Ewigkeiten ein Dorn im Auge des Schweizerischen Fussball Verbandes. Ständig gibt es neue Auflagen und Anforderungen unter Androhung von Konsequenzen. Und alles muss sofort passieren, wenn es nach denen in Bern geht. Der FC Aarau hingegen spielt seit mindestens zehn Jahren in einem Provisorium und wird das auch noch die nächsten zehn Jahre machen. Dazu knallt es da auch abseits vom Platz ab und zu. Wir können eigentlich schon froh sein mit den Wohlener Fans. Ah, irsinnig gut fand ich das Spruchband in Aarau «Die anderen 1000 sind in den Ferien». Die Aarauer Fans hingegen haben geschumpfen, den Ianu ausgepfiffen und beleidigt. Dann auch mit den Petarden und dem Rauch, Aarau kann alles machen. Aber den kleinen Vereinen wird der Kopf abgeschlagen.

Was denkst du, wie kann der FCW an Attraktivität gewinnen?
Ich denke ein grosses Plus ist Pascal Zuberbühler. Ich habe ihn kennengelernt beim zweiten oder dritten Training. Das ist ein guter Typ. Ein weiteres Plus ist auch Flamur im Tor. Viele sind nämlich nicht mehr gekommen, weil wir ständig verloren haben. Es müsste wieder vermehrt für den FC Wohlen hausiert werden. Früher hat Hans Hübscher pro Spiel einige Matchbälle organisiert, heute bezahlt er selber welche, weil ja niemand mehr einen Matchball sponsern will. Und das ist weil sich niemand vom Verein bei den Leuten bedankt. Hast du das vorletzte Kick Off gelesen? Das letzte war ja wieder ordentlich aber im vorletzten ist gar nichts drin gestanden ausser einem Text vom Präsident Tschachtli. Ich habe mich richtig geschämt und einzelne Geschäfte meinten, ich müsse das gar nicht erst auflegen, wenn ja sowieso nichts drin steht. Ein weiteres Problem ist der Investor al-Yousef. Niemand weiss, wie viel Geld da geflossen ist. Und dann werden die Aktien einfach so wieder eingezogen und den Aktionären ihr Geld zurückgeschickt. Was glaubst du wenn es dem FC Wohlen wieder einmal schlecht geht, wird irgendwer dem FC Wohlen wieder Geld geben?! Als die Aktienmehrheit dann bei diesem Saudi-Araber war, musste man Propaganda für den Kunstrasen machen. Aber viele Einwohner glaubten, sie müssen jetzt sozusagen dem Investor den Kunstrasen bezahlen. Und so haben wir die Abstimmung verloren.

Was glaubst du, wie geht es weiter? Was sind deine Prognosen für die Zukunft?
Ich glaube das kommt alles schon gut. Aber es sollte mal wieder etwas Klarheit herrschen. Ich weiss nicht mal wer der Vizepräsident ist. Oder wer Platzwart ist. Die Organisation dünkt mich schlecht. Ich habe schon gehört, dass sie das «Räberhüüsli» schliessen möchten. Schade aber es kommt halt einfach niemand mehr. Ich hoffe einfach die neue Licht-Anlage und die Klappsitze kommen bald. Wobei ich nicht verstehe, weshalb jetzt acht neue Flutlicht-Masten aufgestellt werden müssen. Da könnte man doch einfach neue Scheinwerfer montieren? Wir haben je fünf Lampen, auf der Leichtathletik-Anlage hat es je acht. Das verstehe ich nicht. Nächstes Jahr hätten wir ja im Rahmen der Frauen-EM drei Spiele bei uns. Finden die statt? Das steht wohl noch in den Sternen. Früher gabs viel mehr Sympathie im Dorf für den FC. Damals war es noch familiärer, man hat noch viel mehr für einander geschaut.

Danke für das lange und intensive Gespräch, fahr vorsichtig, wir sehen uns beim ersten Heimspiel an der Kasse 1!
Ich danke dir, es war mir eine Freude, dir all diese Geschichten zu erzählen.

Erschien im Teilzeitzine #2, August 2017