Sky, Teleclub, DAZN, MySports – Mehr Chance als Fluch…

von Sensiego

Egal wie die Sender auch heissen mögen, der Live-Fussball in der Flimmerkiste wandert immer mehr in die Pay-TV-Sender ab. Was für viele Fussballfans ein Fluch ist, könnte für Fussballvereine auch ein Segen sein.

Zurzeit ist dauernd von neuen TV-Deals zu hören, womit meist verbunden ist, dass Fussballspiele immer weniger im öffentlichen Fernsehen zu sehen sind. Dies über die ganze Bandbreite des Fussballs: Von den Top-Ligen Europas bis runter in die Challenge League, von den europäischen Wettbewerben bis hin zu den EM- und WM-Endrunden. Der Fussball ist ein begehrtes Gut (geworden) und ohne entsprechende Abos – oder einer Fussballkneipe um die Ecke – wird es immer schwieriger, Fussball noch Live im TV zu sehen. Viele empören sich darüber. Denn häufig – je nach fussballerischen Vorlieben – genügt ein Abo bei einem Bezahlsender nicht, sondern der gemeine Fussballfan bräuchte mehrere Dienste, um alle Spiele zu sehen, die er möchte. Ob man*frau will oder nicht – diese Entwicklung geht sicher noch weiter und die Spiele werden noch rarer. Live-Fussball wird zu einem Exklusiv-TV-Erlebnis. Die «Eventisierung» des Top-Fussballs macht so auch nicht vor dem Wohnzimmer halt.

Es ist zugegeben schon lange her. Aber die Erinnerungen sind noch da. In den Sommerferien haben wir an den Wochenenden auf dem Campingplatz oft vor dem Radio gesessen und den Live-Übertragungen gelauscht. Tags darauf lasen wir dann die Statistiken im Sonntagsblick nach. Drei Kids, drei verschiedene Vereine. Meiner zugegeben, war damals nicht der FC Wohlen, aber das ist eine andere Geschichte. Aber es war klar, dass es die Vereine waren, von wo wir kamen. Klar, ich war damals auch ein «BVB-Fan» und habe die tollen Champions-League-Spiele am Fernsehen geschaut. Aber das war etwas anderes. Dortmund war so fern und mehr eine Liebschaft. Aber der Stadtverein war direkt vor der Tür – er war präsent und dort war ich verankert. Vielen Kindern und Jugendlichen ging es wie mir. Doch die Entwicklung zum Fussballfan des lokalen Vereins durch die regionale «Zugehörigkeit» nahm über die Jahre konstant ab. Die Medien wurden Dank des Internets immer schneller und kurzlebiger und durch die Präsenz im TV und dem Web kamen auch die internationalen Top-Klubs gefühlt immer näher. Die Fokussierung verschob sich immer mehr zu den Spitzenteams und Topstars. Im Schweizer Fussball können noch Schlagzeilen gemacht werden, wenn um die Meisterschaften oder den Cupsieg gespielt wird. Schon das Mittelfeld der Super League scheint uninteressant – ganz zu schweigen von der Challenge League. Wenn gefühlt jede zweite Woche ein Topspiel im Fernsehen läuft und auf Youtube & Co. sowieso immer alle Tore und Highlights von Barcelona, Juve & Co. zu finden sind, wieso sollte man als Jugendlicher auf die Idee kommen Fussball in der Niedermatten, dem Brügglifeld oder der Schützenwiese zu besuchen?!

So fand über all die Jahre eine Verschiebung vom lokalen Fussball zu den Top-Spielen statt. Diese Entwicklung scheint aber nun teilweise noch weiter zu gehen. Nachdem schon der FC Wohlen durch Barcelona, der FC Chiasso durch Bayern München oder der FC Wil durch PSG als Lieblingsvereine der Fans ersetzt wurden, wandelt sich das Fansein teils noch mehr. Oft stehen schon nicht mehr die Vereine, sondern die Spieler im Mittelpunkt. Spieler wie Ibrahimovic oder Ronaldo sind perfekte Beispiele, wie sich heutzutage Spieler in Szene setzen und sich vermarkten. So schaffen sie es auch Fans an sich zu binden. Als Fan von Ibra bleibe ich dann Fan des Schweden, egal ob er bei der AC Mailand, Paris Saint-Germain oder Manchester United spielt. Natürlich ist das noch nicht sehr verbreitet, aber zumindest eine Zunahme eines solches Verhalten ist – gefühlt – vorhanden. Die Top-Clubs versuchen sich natürlich genau so wie die Spieler zu etablieren und zu vermarkten. Oft ist es aber so, dass ausser der geografischen Lage (die bei einer weltweiten Vermarktung zu vernachlässigen ist) die Vereine zu beliebig sind und sich kaum abgrenzen (können). Dies fällt einzelnen Spielern logischerweise viel einfacher.

Doch was hat das alles mit dem FC Wohlen oder der Challenge League zu tun? Durch diese Entwicklungen – natürlich auch verbunden mit anderen Faktoren (Eventisierung der Spiele, Anstieg der Ticketpreise, nicht nach-vollziehbare Transfers und Macchenschaften etc.) – gibt es die Möglichkeit, sich als Alternative zu all dem zu positionieren. Es gibt genug Fussballfans, die keine Lust haben den Stars auf Instagram zu folgen oder für die Top-Spiele teure TV-Abos zu lösen. Neben diesem Jubel-Trubel-Fussball hat es mehr als genug Platz für «ehrlichen» Fussball. Während man bei unseren grossen Nachbarn oft runter bis in die Amateurligen muss, um einfachen, bescheidenen Fussball ohne Tohuwabohu zu sehen, wäre dies in der Schweiz auch noch in der Challenge League möglich. Die Zwänge, die der Profifussball mit sich bringt (Vermarktung, Infrastruktur etc.) sind hier noch nicht so weit voran geschritten. Aber es ist klar, dass sich diese auch hier ausbreiten. So muss die Liga zum Beispiel auch für Teleclub irgendwie attraktiv sein und es ist nur logisch dass die Auflagen des Verbandes immer strikter und nicht lascher werden. Momentan ist die zweithöchste Liga im Lande aber an sich noch an sehr vielen Orten sehr bescheiden. Die Leute besuchen die Spiele, um Fussball zu schauen (und vielleicht noch Freunde zu treffen). Sie gehen nicht hin, um Top-Stars zu sehen, sich vom Event rund ums Spiel berieseln zu lassen oder sich mit Fotos vom Spieltag auf Instagram in Szene zu setzen.

Wenn wir jetzt von einer Tendenz ausgehen, dass immer mehr Leute keinen Bock mehr auf den «Event-Fussball» haben oder denen die Möglichkeit zumindest erschwert wird, diese Spiele noch regelmässig im TV zu schauen, tut sich hier ein Feld von potentiellen neuen Stadiongänger*innen auf. Diese Fans gilt es nun zu erreichen und abzuholen. Die Vereine müssen sich auf eine Art und Weise vermarkten, so dass sie für eben jene Fans attraktiv werden. Sie müssten sich demnach als klare Alternative zeigen und sich nicht selbst mit Halbzeitspielen, Maskottchenparaden oder Cheerleader-Shows in Szene setzen. Wenn man es als Verein schafft, sich so zu positionieren und sich auch in der lokalen Bevölkerung zu etablieren, dann kann man aus dem gegenwärtigen Trend sogar Vorteile ziehen.

Bis jetzt verfolgt der FC Winterthur als einziger Verein wahrnehmbar eine solche Strategie. Viele andere schielen eher nach oben und orientieren sich daran in der Hoffnung auch ein Stück (oder Krümmel) des grossen Kuchens abzubekommen. Die meisten scheinen jedoch gar keinen Plan zu haben. Man macht halt das, was man schon immer gemacht hat. Da sich der Fussball stetig ändert und entwickelt, gilt es aber auch als Verein sich diesen stetig veränderten Situationen zu stellen. Natürlich wäre es möglich, sich einfach als einzelner Verein als Gegenpol zu all diesen Entwicklungen und all den anderen Clubs der Liga zu positionieren. Dies würde natürlich zu einer tollen Einzigartigkeit führen. Die Frage, die sich dann jedoch stellt, ist, wie lange man sich da in der Liga halten könnte. Da es offensichtlich für viele Clubs in der Liga nicht einfach ist, sich in der Challenge League zu halten und dies vor allem aufgrund der finanziellen und infrastrukturellen Notwendigkeiten, wäre es sinnvoller, eine gemeinsame Strategie zu finden und zu verfolgen. Vereine wie Wil, Chiasso, Winti, Aarau, Rapperswil-Jona oder Wohlen werden nie die Möglichkeiten haben, dass Spiel «der Grossen» mit zu spielen ohne einen finanzstarken Investor (und die Gefahren, die das mit sich bringt, sind wohl inzwischen mehr als bekannt). Mit einem Verbund von fünf bis sechs Teams hätte man auch die Möglichkeit die Entwicklungen der Liga mit zu steuern oder zumindest zu beeinflussen. So würden neue Auflagen für bessere TV- Bilder, Sponsorenbedingungen etc. nicht widerstandslos zunehmen, sondern es würde bei der zukünftigen Ausrichtung der Liga auch klar werden, dass man solche Entwicklungen vielleicht gar nicht möchte. Gemeinsam wäre es so unter Umständen möglich, der Challenge League Rahmenbedingungen zu schaffen, welche für die Vereine und Fans attraktiv wären.

Jetzt kann argumentiert werden, dass die Challenge League eh nie jemanden gross interessieren wird. Ich glaube auch nicht, dass so plötzlich die Stadien überall voll werden. Aber ich denke es wäre eine sinnvolle Strategie, um sich als Ort des Fussballs zu positionieren. Seit sich die Premier League in England so weit von der Basis der Fans entfernt hat, besuchen viele Engländer Fussballspiele in der 2. oder 3. Deutschen Liga, um noch in den Genuss von Fussball im Stadion zu kommen. Das zeigt was diese Entwicklungen für Auswirkungen haben. Es wird künftig kaum jemand aus den Nachbarländern extra in die Schweiz reisen, um Spiele der Challenge League zu schauen. Dieses Beispiel soll nur aufzeigen, was Veränderungen im Fussballmarkt für Auswirkungen haben können. Was die momentanen Veränderungen für Folgen haben, werden wir erst noch sehen. Sicher ist jedoch, dass der Status Quo in der Challenge League so oder so keine Zukunft hat. Es muss etwas passieren und sich nur auf eine allfällige Ligareform oder fremde Geldgeber zu verlassen, scheint etwas sehr gewagt.

Der FC Wohlen sollte mutiger werden und sich von der selbst auferlegten Opferrolle lösen. Für die jetzige Situation sind nicht «die da oben in Muri bei Bern» Schuld, sondern man ist selber verantwortlich. Die Rahmenbedingungen, in denen sich der FC Wohlen bewegt (Stadion im Besitz der Gemeinde, kleines Einzugsgebiet, wirtschaftlich mittelmässige Gegend, Infrastruktur der Niedermatten etc.), sind schon lange klar definiert und Liga- und Lizenzanpassungen kommen selten von heute auf morgen. Der FCW hat es schlicht und einfach verschlafen sich zu entwickeln. Mit einer handvoll KMUs als Sponsoren und den immergleichen Gönnern kann der Verein kaum finanziell überleben. Das etwas trostlose und unpersönliche Stadion lädt auch kaum zum Besuch ein und der Verein hat es auch nicht geschafft sich als Treffpunkt in der Gemeinde zu entwickeln. In dieser Gemeinde gibt es kaum kulturelle Treffpunkte. Deshalb wäre es vorstellbar, dass das Stadion zu einem «Place to be» wird – wo man hingeht, Freunde oder Bekannte trifft und gemeinsam was trinkt und Spass hat. Die Entwicklung der Zuschauer-*innenzahlen ist auch eher ernüchternd: 955, 1266, 870, 1170 und in der aktuellen Saison sind es noch durchschnittlich 716 pro Spiel (nur Chiasso hat weniger).

Eine Pauschallösung wird es kaum geben, aber es muss sich etwas bewegen. Die Zeit scheint nun jedoch reif, dass auch der FC Wohlen den Schritt ins Hier und Jetzt macht. Dies kann beispielsweise auch mit einem radikalen Schnitt und dem Rückzug aus dem Profifussball passieren. Alles scheint besser als der Status Quo …

Erschien im Teilzeitzine #3, Dezember 2017